"Als ich von der Autobahn abgebogen war und das Dortmunder Stadion wiedersah - das war unbeschreiblich."

Dieser Text ist ein eingereichter Beitrag zum 50. Jubiläums des Westfalenstadions.

Tränen treten in die Augen von Peter Erdmann, er sucht nach Worten. "Jetzt kann ich wieder leben", sagt er, während er in einer Gastwirtschaft einen Kaffee trinkt. Der 61-jährige hat sich fürs Gespräch extra in Schale geworfen, in schwarz-gelb, versteht sich. Um seinen Hals hängt eine BVB-Kette, er trägt ein BVB-Hemd, nimmt seine Brille aus einem BVB-Etui. Selbst die Klingel an seinem Fahrrad ist schwarz-gelb, so wie eine Fahne am Gepäckträger und natürlich auch sein Fahrradhelm.

"Mir geht es fantastisch", sprudelt es aus ihm heraus. Hätte ihm das jemand vor ein paar Jahren gesagt, hätte er das wohl nicht geglaubt. Mit Peter Erdmann lebt nämlich nicht nur einer der bekanntesten Borussia-Fans mitten in Oberursel, sondern auch der mit der wohl tragischsten Geschichte. Denn über 20 Jahre lang hat er keinen Fuß mehr auf Dortmunder Boden gesetzt, nachdem er Ende der 80 Jahre aus der Stadt im Ruhrgebiet geflohen war, fliehen musste.

Das wäre vielleicht auch so geblieben, wenn nicht WDR-Reporter Gregor Schnittker nach ihm gesucht in ihn schließlich im Taunus gefunden hätte. Beinahe hätte ihm Erdmann jedoch die Tür vor der Nase zugeschlagen - doch es kam anders, und der Fan und der Reporter unterhielten sich viele Stunden. Es scheint sich für die Küchenhilfe im Rind'schen Bürgerstift ein Kreis zu schließen, der Kreis Erdmanns Lebens- und Fußballfangeschichte.

  • Sohn und Neffe der berühmten BVB-Oberligaspieler Werner und Herbert Erdmann
  • einer der ersten Vorsänger der schwarz-gelben Borrussen-Fans in den 70er Jahren
  • schuf 1976 den berühmten BVB-Walzer als Liebeserklärung an seinen Verein
  • genau wie sein Vater von allen Freunden nur liebevoll "Erbse" genannt

Begonnen hat sie tatsächlich mit seiner Geburt, denn er hat den Fußball geradezu mit der Muttermilch aufgesogen. Sein Vater spielte nach dem Zweiten Weltkrieg in der Borussia-Mannschaft. In den 70er-Jahren engagierte sich Erdmann, der wie sein Vater "Erbse" genannt wird, sehr aktiv in der Fanszene. Unter anderem war er Vorsänger und Dirigent der Südtribüne.

Was ihn schließlich bekannt machte, war ein Liedtext, der noch heute bei einem Sieg der Mannschaft im Stadion erklingt. Aus der Melodie des "Schneewalzers" und den Worten von Erdmann wurde 1976 der BVB-Walzer geboren.

Der schöne Teil der Geschichte endet jedoch, als Anfang der 80er-Jahre Anhänger der rechtsradikalen Borussenfront das Lokal seiner Eltern verwüsten. Die Gaststätte liegt in der Nähe des Borsigplatzes. Hier wird viel gefeiert – auch gemeinsam mit Fans von gegnerischen Mannschaften. Das passte der Borussenfront wohl nicht. Bei der Wiedereröffnung schlagen die Hooligans erneut zu. "Das war ein Überfall wie bei der Mafia", wird später ein Staatsanwalt in seinem Plädoyer sagen, ehe die Schläger zu 18 Monaten Haft verurteilt werden.

Erbse und seine Eltern tragen schwere Verletzungen davon. Schürfwunden, Schädelprellungen und Blutergüsse. "Meine Mutter hatte mehrere Platzwunden im Gesicht", so Erdmann. Er selbst verbringt neun Tage auf der Intensivstation. Der Vater muss auf Krücken gehen, stürzt nur wenig später erneut, zieht sich einen Oberschenkelhalsbruch zu und stirbt noch im gleichen Jahr. Die Trauerfeier im April 1983 findet unter Polizeischutz statt. Die Mutter folgt ihrem Mann nur drei Jahre später. "Sie ist da nie drüber weggekommen", sagt ihr Sohn. 1987 verlässt Peter Erdmann Dortmund. Er macht sich auf nach Mönchengladbach und zieht später nach Frankfurt. Er hatte nicht nur seine Eltern, sondern mit der Gaststätte auch seine berufliche Zukunft verloren.

Es folgte eine sehr traurige Phase, wie der heute 61-Jährige erzählt. "Ich war verbittert und enttäuscht", sagt er. "Anfang der 90er habe ich dem Fußball dann ganz den Rücken gekehrt." Das Fan-Dasein wollte er dennoch nicht aufgeben und wandte sich dem Eishockey zu. "Diese Fans waren eine große Familie, so wie ich mir das beim Fußball immer gewünscht hatte."

Auch eine kleine Familie hat sich Erdmann in der Zwischenzeit geschaffen. In Frankfurt lernte er sein "Sternchen", seine Lebensgefährtin, kennen, mit der er seit 15 Jahren zusammenlebt. Er liebt sie und seine dazugewonnene Enkelin, mit der er gerne Zeit verbringt.

Seine Liebe zum Fußball hält er die ganzen Jahre über im Verborgenen. Er schaut natürlich alle Spiele des BVB, kann sich aber nicht vorstellen, zurückzukehren. Dazu musste erst Gregor Schnittker vor der Tür stehen, der ihn nach Dortmund einlädt. Das Stadion-Museum war in den Unterlagen auf "Erbse" gestoßen und plante einen Abend zur Erinnerung an den BVB-Walzer.

  • Als er im Februar auf dem Stadionrasen steht, weiß er, dass er wieder nach Hause gekommen ist
  • "Ich wurde empfangen wie ein König", freut sich Erdmann. Auch Präsident Reinhard Rauball begrüßte ihn
  • "Mit einem Mal war alles vergessen", sagt er sichtlich gerührt
  • Er hat einen großen Schritt getan, um sich mit der Geschichte auszusöhnen – oder die Geschichte mit ihm

In Oberursel blickt Erdmann jetzt jedenfalls nach vorne. Wie es der Zufall so will, lernt er Manfred Rogalski kennen und findet in ihm einen Seelenverwandten. Rogalskis Vater spielte Anfang des letzten Jahrhunderts ebenfalls beim BVB und er ist selbst glühender Fan. Gemeinsam mit Wolfgang Rexer und Jan Willemsen, 2 „Altdortmundern“ haben sie nun den ersten BVB-Fanclub Oberursels ins Leben gerufen. Sie haben schon ein paar Fahrten in den Ruhrpott organisiert und schreiben eifrig Fanlieder, eine CD soll bald fertig sein.

Der Fanclub ist noch klein, hat aber einiges vor. Regelmäßig wollen sich die Fußballanhänger sozial engagieren. Vor allem aber wollen sich die beiden Gründer für ein friedliches und faires Fanverhalten einsetzen und suchen den Austausch mit anderen Clubs. Frotzeleien und ein paar lustige Sprüche über andere Vereine gehören für Erdmann zum Fansein dazu, aber mehr nicht:

Inzwischen ist der Fanclub 10 Jahre alt und hat seinen Sitz von Oberursel nach Bad Soden verlegt. Erbse ist leider im Jahre 2017 verstorben aber wir bleiben und handeln stets in seinem Andenken.

Wolfgang Rexer

Vorsitzender FC Taunus (FC Erbse)