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Verfolgt und ermordet - die Borussen Heinrich Czerkus und Franz Hippler
In den Ostertagen jenes Jahres hatte die Gestapo Dortmund in der Bittermark, im Rombergpark und an einer Bahnstrecke in Hörde noch 230 Gegner des Regimes ermordet und ihre Körper verscharrt: vor allem Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene, aber auch Widerstandskämpfer, die der Gestapo infolge eines Verrats im Februar 1945 in die Hände gefallen waren. Unter den Exhumierten befanden sich auch zwei Borussen: Heinrich Czerkus und Franz Hippler. Zwei Männer, die im Viertel rund um den Borsigplatz zuhause und bekennende Mitglieder der BVB-Gemeinde waren. Der gemeinsame Kampf gegen Hitler hatte sie zusammengeführt. Sie fielen der faschistischen Gewaltherrschaft zum Opfer, weil sie ihr eigenes Schicksal dem Ringen um Freiheit für alle unterordneten.
Jedes Jahr am Karfreitag findet zum Gedenken an die beiden Borussen wie an alle anderen Opfer der Naziherrschaft der Heinrich-Czerkus-Gedächtnislauf statt, der vom Stadion Rote Erde zum Mahnmal in der Bittermark führt.
Heinrich Czerkus (1894-1945)
Heinrich Czerkus wurde 1894 in Minge, in Preußisch-Litauen geboren. 1920 kam er nach Dortmund, wo er im Hoesch-Viertel, in der Schlosserstraße 42, eine Wohnung und im benachbarten Stahlwerk Arbeit als Schlosser fand. Als er 1925 seinen Arbeitsplatz verlor, bot ihm der BVB die Stelle eines Platzwartes auf dem Borussia-Sportplatz an der Wambeler Straße an.
Heinrich Czerkus war nicht nur im Hoesch-Viertel, sondern in der ganzen Stadt als Mitglied der Kommunistischen Partei bekannt. Bei der Stadtverordneten-Wahl vom 12. März 1933 hatte er erfolgreich für das Stadtparlament kandidiert, konnte aber sein Mandat wegen des Ausschlusses der kommunistischen Mitglieder nicht mehr antreten. Von da an hatte die Gestapo Heinrich Czerkus auf der Schwarzen Liste, kannte seine Adresse und seinen angestammten Arbeitsplatz auf dem Borussia-Gelände – und dennoch konnte sie ihn erstaunlicherweise nicht fassen. Zeitzeugen aus dem Kreis des BVB wiesen nach dem Krieg darauf hin, dass es innerhalb des Viertels und vor allem innerhalb des Vereins viel Solidarität und zudem eine Art Warnsystem gegeben habe, das es ihrem Platzwart stets ermöglicht habe, rechtzeitig unterzutauchen, wenn eine Aktion der Gestapo bevorstand. So blieb er unentdeckt und im Untergrund aktiv.
Um Heinrich Czerkus dreht sich eine erbauliche Geschichte, die auf den ersten Blick unwahrscheinlich anmutet. Auf der Geschäftsstelle des BVB gab es einen Vervielfältigungsapparat, der - so die Nachkriegserzählung innerhalb des Vereins - von Heinrich Czerkus mit Wissen des Vereinsführers August Busse bis 1944 wiederholt benutzt wurde, um kommunistische Flugblätter gegen die braune Herrschaft zu vervielfältigen. Da es politischen Widerstand gegen das Regime während des Krieges kaum noch gab und in Dortmund nur noch einige wenige Personen aktiv waren, haben Kritiker die Geschichte um den Vervielfältigungsapparat des BVB eher belächelt und als Wunschdenken abgetan. Dass es jedoch tatsächlich der Apparat des BVB war, den nicht nur Czerkus verwendete, sondern mit Hilfe dessen auch die gesamte noch tätige Widerstandsgruppe ihre Flugblätter für die Zeit des Zusammenbruchs herstellen wollte, bestätigt dann ein Bericht der Gestapo vom März 1945.
Heinrich Czerkus zu verhaften, gelang der Dortmunder Gestapo erst im Februar 1945, nachdem sie einen V-Mann in den Kreis jener Aktivisten eingeschleust hatte, die gegen Ende des Krieges mit dem Ziel einer Neuorganisation der KP-Strukturen wieder tätig wurden. Zu diesem Zweck hatte Heinrich Czerkus auch wieder Kontakt zu seinem alten Bekannten aus dem Kreis der KPD wie aus dem Verein aufgenommen - zu Franz Hippler.
Franz Hippler (1895-1945)
Franz Hippler wurde 1895 im ostpreußischen Allenstein als Spross einer Arbeiterfamilie geboren. 1905 zogen seine Eltern der Arbeit wegen ins Ruhrgebiet und ließen sich im Dortmunder Hoesch-Viertel nieder. Ihr Sohn Franz besuchte die katholische Dreifaltigkeitsschule und wechselte gleich nach Abschluss in die Fabrik. 1915 zum Heeresdienst eingezogen, geriet er 1918 in Gefangenschaft. Im Zuge der revolutionären Nachkriegswirren stand er 1920 auf Seiten der Roten Ruhrarmee und trat später in die Kommunistische Partei ein. Er wurde früh Mitglied des BVB, besuchte regelmäßig die Spiele der Mannschaften und war in den führenden Kreisen des Vereins wohlbekannt.
Hippler wohnte mit seiner Familie in der Wambeler Straße und arbeitete als Maschinist im Hoesch-Stahlwerk, verlor aber wie viele seiner Kollegen in den späten 1920er Jahren wiederholt seinen Arbeitsplatz. Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten im Januar 1933 und dem Verbot der der KPD arbeitete Hippler im Untergrund weiterhin für die Partei.
1935 wurde Hippler verhaftet und gemeinsam mit 85 weiteren Beschuldigten wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ vom Oberlandesgericht in Hamm verurteilt; er erhielt drei Jahre und neun Monate Zuchthaus. Nach Ablauf seiner Strafe kam Franz Hippler nicht etwa frei, sondern wurde am 14. Juli 1939 in „Schutzhaft“ (ein juristisches Willkürinstrument, das es den Handlangern des Regimes erlaubte, jeden Missliebigen zu inhaftieren) genommen, zunächst in der Steinwache inhaftiert und von dort am 24. Juli 1939 ins Konzentrationslager Buchenwald überstellt. Aus dem KZ wurde er erst am 6. April 1943 „probeweise“ entlassen, nachdem seine Frau und der gemeinsame, an der Front im Einsatz stehende Sohn wiederholt entsprechende Eingaben eingereicht hatten.
Hippler wohnte zunächst wieder mit seiner Frau in der alten Wohnung in der Wambeler Straße 11. Im Sommer 1944 erhielt das Haus bei einem Luftangriff einen Bombentreffer und Franz und Sophie Hippler mussten eine neue Unterkunft finden. Sie fanden sie in der gleichen Straße, ein paar Häuser weiter, in der Wambeler Straße 3. Das Haus gehörte Willi Röhr, SA-Mann und braune Eminenz des BVB, ehe er 1939 aus allen Parteiorganisationen austrat. Seine Familie war 1944 ins Hessische evakuiert worden. Daher gab es Platz im Haus, den er den Hipplers zur Verfügung stellte. Zum 1. Juni 1944 zogen sie ein. So wohnte nun ein kommunistischer Ex-KZ-Häftling im Haus eines Ex-SA-Mannes. Die Verbindung zwischen ihnen stellte die langjährige Zugehörigkeit beider zum BVB dar. Die ungewöhnliche Konstellation im Hause Röhr vervollständigte ein Polizei-Hauptwachtmeister, der ebenfalls dort wohnte. Trotz der acht Jahre Haft und aller erlittenen physischen und psychischen Misshandlungen scheute Hippler nicht davor zurück, wieder Kontakt zu ehemaligen Bekannten und Freunden aus der KPD aufzunehmen. Wie Czerkus und alle anderen wurde er im Februar 1945 verhaftet, verhört, gefoltert und schließlich von der Gestapo ermordet.